Interview mit Insa Mingers

AK: Hallo Insa, Du bist für den Hamburger Tisch-Tennis-Verband zusammen mit Sebastian Stegemann die neue PSG-Ansprechperson. Magst Du Dich bitte einmal kurz vorstellen? Wer bist Du? Spielst Du Tischtennis und wo?

IM: Moin Antje! Bevor Sebastian mich als weibliche Ansprechperson im HTTV ins Team holte, hatte ich diese Rolle beim TV Lokstedt inne. Das ist der Verein, in dem ich in den letzten Jahren in der Hamburg Liga bei den Damen gespielt hatte, bevor ich mich entschied, mich dort auf das Jugendtraining zu konzentrieren und nun nur noch ab und an bei den Herren aushelfe. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bereitet mir viel Spaß – und sie gibt mir das Gefühl, etwas von dem zurückzugeben, was ich selber meine gesamte Kindheit und Jugend erleben durfte: unbeschwerte Freude am Tischtennis-Sport und an der Bewegung überhaupt.

AK: Ok, und erklär doch bitte einmal, was sich hinter dem Kürzel PSG verbirgt.

IM: PSG steht für „Prävention sexualisierter Gewalt“, was erstmal als Wortungetüm daherkommt, aber alle drei Wortbausteine sind wichtig.

Ganz einfach gesagt geht es darum, dass Kinder geschützt werden sollen. Sie sollen glücklich aufwachsen und sich immer sicher fühlen können – auch beim Tischtennis, auch dann, wenn ihre Leistungen wie z.B. im Kader oder bei Turnieren im Fokus stehen.

Leider erleben viele von uns immer wieder Situationen, in denen wir Personen ausgesetzt sind, die ihre Überlegenheit uns gegenüber ausnutzen, z.B. Trainer, die uns nach einer Niederlage beleidigen oder bestrafen, oder stärkere Spielerinnen aus höheren Mannschaften, die uns schikanieren. Das sind Formen von Gewalt.

Insbesondere Frauen und Mädchen (aber auch Jungen!) erleben häufig Grenzüberschreitungen, die „sexualisiert“ sind, wie z.B. der gar nicht harmlose Klaps auf den Po vom Trainer, das ungefragte Streicheln über den Rücken durch den stärkeren oder älteren Mixed-Partner.

Insbesondere in der Pubertät haben Kinder bzw. Jugendliche ein Anrecht darauf, ihre eigene sexuelle Identität in geschützten Räumen und mit einem Gegenüber auf Augenhöhe erproben zu können. Trainer*innen müssen sich bewusst werden, dass sie keine geeigneten Partner*innen für ihre Schützlinge sind, dass es sogar eine gesunde Distanz zwischen Trainer*innen und Sportler*innen braucht. Prävention meint also vor allen Dingen auch Aufklärung, früh- und rechtzeitig, vorbeugend Bewusstsein schaffen für Rollen, Machtgefälle und Grenzen.

AK: Du möchtest nun künftig Schulungen zu diesem Thema im HTTV anbieten, richtig? Wieso ist es wichtig, dass die Vereine sich damit aktiv beschäftigen?

IM: Ja, genau. Ich habe mich bei der Hamburger Sportjugend (hsj) ausbilden lassen und möchte gerne Vereine und TT-Abteilungen unterstützen, Bedingungen für ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche vor Übergriffen geschützt sind.

„Bei uns gibt es das nicht!“ ist eine Reaktion, die sich niemand mehr leisten kann. Aus den Medien und der wissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass psychische und sexualisierte Gewalt in Sportvereinen keine Seltenheit ist. Täter suchen sich gezielt Sportvereine auf, in den Jugendschutz nicht groß geschrieben wird, um Vertrauen zu Kindern aufzubauen und dieses Vertrauen dann zu missbrauchen.

Und ebenso gibt es auch viele Jugendliche und auch Erwachsene, die noch nicht gelernt haben, sich selbst zu behaupten, klar ihre Grenzen zu setzen  – und die Grenzen anderer zu respektieren.

Dank der Hamburger Sportjugend ist es nun auch so, dass ein Schutzkonzept für alle Sportvereine verpflichtend ist: Wer weiterhin von der finanziellen Förderung durch die hsj profitieren möchte, muss also eine Risikoanalyse, einen Interventionsleitfaden und Verhaltensregeln erarbeiten. Bei Fragen unterstützen Sebastian und ich auch hier gerne.

AK: Ich dachte immer, dass es im Gesamtverein eine Ansprechperson geben muss und nicht in jeder Sparte. Wie ist es genau?

IM: Richtig, die hsj und die zuständige Hamburger Behörde haben aus dem PSG-Stufenmodell der Deutschen Sportjugend (dsj) und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Maßnahmen abgeleitet, die für alle Mitgliedsverbände und -vereine verpflichtend sind. Sprich für jeden „Gesamtverein“, wie du es nennst, aber auch für einen Verband wie den HTTV. Eine der Maßnahmen ist die Benennung einer Ansprechperson. Und es macht Sinn, so wie beim HTTV, dass es eine männliche und eine weibliche Ansprechperson gibt.

AK: Warum ist auch Tischtennis eine Sportart, bei der man genau darauf achten sollte, wie man sich verhält?

IM: Auch Tischtennisspieler*innen haben Grenzen. Nicht jede*r von uns möchte nach einem Sieg vom Trainer umarmt werden. Es ist nur gar nicht so leicht, ihm das zu sagen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Trainer*innen unsere Schützlinge fragen, ob eine Berührung in Ordnung ist. Wir Trainer*innen tragen die Verantwortung dafür, ob Kinder sich in unseren Gruppen wohlfühlen. Eine Bewegungskorrektur mit Berührung kann für Kinder unangenehm sein – und sie haben das Recht, die Berührung abzulehnen. Wir müssen ihnen die Gelegenheit dazu geben. Ganz einfach. Ein anderes Beispiel: Auch beim Tischtennis ist das gemeinsame Duschen und auch das gemeinsame Umziehen von Trainer*innen und Spieler*innen ein No-Go. Der unerwünschte Klaps auf den Po sollte im Tischtennis genauso tabu sein wie im Leistungsturnen.

Wir Trainer*innen sind völlig unabhängig von der Sportart Vorbilder für die Heranwachsenden. Wir haben die Chance, ihnen respektvollen Umgang vorzuleben. Schon untereinander können die Jugendlichen sich unterstüzten, auch für andere einstehen, wenn es zu einer Grenzüberschreitung gekommen ist.

AK: Kannst Du uns vielleicht Beispiele nennen, bei denen man dringend aufmerksam werden sollte?

IM: Ja, wir alle können sensibel werden, für Anzeichen, dass es etwas nicht in Ordnung ist. Kindern und Jugendlichen kann man ihr Unwohlsein manchmal durchaus anmerken, wenn sich ihr Verhalten auffällig verändert: Konzentrationsstörungen, extreme Müdigkeit, übertriebene Wachsamkeit, Schreckreaktionen, Reizbarkeit und Wutausbrüche, aber auch extremes Leistungsverhalten können Anzeichen dafür sein, dass sie Gewalt ausgesetzt sind.

Konkrete Beispiele dafür, dass Trainer*innen sich unangemessen verhalten: Sie nutzen mit einem einzelnen Kind die Umkleide oder die Dusche, übernachten mit ihnen im selben Raum, sie schreiben einem Jugendlichen private 1-zu-1-Chat-Nachrichten, oder tauschen sogar Bilder voneinander aus. Auch Berührungen an intimen Körperstellen z.B. bei Bewegungskorrekturen, genau wie Bestrafungen, die Sportler*innen körperlich überfordern und Schmerzen verursachen (zu viele Liegestützen) sind Grenzüberschreitungen, ebenso herablassende, beleidigende oder sexualisierte Kommentare („Du bist zu fett!“, „Der Rock gefällt mir, besonders in der Grundstellung!“).

AK: Wie sind nun die weiteren Schritte?

IM: Ich möchte ab sofort Matthias Geisler bei seiner großartigen Arbeit in der Trainerausbildung beratend zur Seite stehen kann. Gerne komme ich auch in die Vereine oder Abteilungen, um für PSG zu sensibilisieren. Da Leistungssportler*innen einem erhöhten Risiko für Grenzüberschreitungen ausgesetzt sind, werden wir auch mit den Kaderspieler*innen und -trainerinnen über ihre Erfahrungen sprechen sowie die Risikoanalyse überarbeiten und einen Verhaltensleitfaden ableiten.

AK: Wie ist die Zusammenarbeit mit Sebastian geplant? Wer ist für wen Ansprechpartner? Wie kann man Euch ansprechen?

IM: Die hsj empfiehlt, dass es jeweils eine weibliche und eine männliche Ansprechpartner*in gibt, anscheinend wenden sich Mädchen öfter an Frauen und Jungen an Männer. Trotzdem sind wir beide natürlich für alle gleichermaßen da, unabhängig von Geschlecht oder anderen Persönlichkeitsmerkmalen! Jede*r ist willkommen und herzlich eingeladen, sich bei einem komischen Gefühl im Bauch oder bei Fragen rund um den Kinder- oder Jugendschutz an uns zu wenden.

AK: Vielen Dank Insa, dass Du Dich für dieses wichtige Thema so stark engagierst und dass Du Dir Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten.

Das Interview führte Antje Krüger

 

Weitere Infos zu unseren PSG-Ansprechpartnern

Prävention sexualisierter Gewalt – Hamburger Tisch-Tennis Verband e.V. (hamburg-tischtennis.de)