Wie geht das eigentlich – Schiedsrichter werden? Und wie unterscheidet sich die Tätigkeit als Lizenz-Schiedsrichter vom Zählen beim eigenen Mannschaftsspiel?

In Hamburg beginnen wir mit der Ausbildung zum Bezirksschiedsrichter (BzSR). Mit dieser Lizenz kannst Du bei allen offiziellen Veranstaltungen des HTTV als Tischschiedsrichter zum Einsatz kommen. Je nach Bedarf ist es aber auch möglich, zu überregionalen Veranstaltungen eingeladen zu werden oder sich darauf zu bewerben. Zur BzSR-Ausbildung meldet Dich Dein Abteilungsleiter gern an.

In der Ausbildung geht es zunächst darum, die internationalen Tischtennisregeln zu verstehen und einheitlich auszulegen. Ein Beispiel: Dass es ein Fehler ist, wenn man unter dem Netz durchspielt, dürfte jedem klar sein, doch muss der Ball immer über das Netz gespielt werden? Dazu gibt es eine klare Antwort: Nein, denn er kann auch um die Netzgarnitur herum oder unter der Zwinge hindurch gespielt werden. Doch es gibt auch Fragen, die keine klare Antwort und gleich drei Lösungen zulassen: Wenn im Doppel der „falsche“ Spieler einen Aufschlag annimmt und einen Punkt mit dem Rückschlag erzielt, zählt der Punkt wie gespielt oder bekommt vielleicht doch das aufschlagende Paar den Punkt zugesprochen? Oder wird der Aufschlag wiederholt? Es kommt hier auf Details an, anhand derer der Schiedsrichter tatsächlich auf eine der drei völlig gegensätzlichen Möglichkeiten entscheiden muss (*: siehe unten). Da schließt sich die Frage an, ob ein Protest beim Oberschiedsrichter (OSR) gegen die Entscheidung möglich ist und ob dieser anders entscheiden könnte. Auch diese Frage kann nicht ohne weitere Details mit Ja oder Nein beantwortet werden. Schwierig wird es auch bei den Wettkampf-Regelungen, z.B. welche Beschädigungen ein Schläger haben darf, um noch für das Spiel zugelassen zu sein, wann und wie häufig ein Schläger gewechselt werden darf, oder wann er gewechselt werden muss. In der Ausbildung wird erarbeitet: Was entscheide ich bei solchen Fragen am Tisch und wann kann und wann muss ich den OSR zur Entscheidung hinzuziehen. OSR haben übrigens immer mindestens die Verbandsschiedsrichter-Lizenz (VSR). Diese kannst Du in einem weiteren Ausbildungslehrgang mit abschließenden Prüfungen erwerben, nachdem Du in einigen Einsätzen am Tisch Erfahrung gesammelt hast. Diese qualifiziert Dich auch, als OSR bei den Regional- und Oberliga-Spielen zu fungieren.

Am Ende des Ausbildungstages zum BzSR wirst Du eine Menge kniffliger Fragen beantworten können. Ebenso lernst Du etwas über die Abläufe am Tisch. Dazu gehört zunächst das Verwenden der Netzlehren, des Wählchips, der Karten, der Stoppuhr und der Liste zugelassener Schlägerbeläge. Neben der vertieften Regelkenntnis und der Sicherstellung, dass ein Spiel fair abläuft, lernst Du auch, was uns vielleicht am weitesten vom nicht lizensierten „Zähler“ unterscheidet: Wir zählen nicht nur, wir leiten die Spiele. Unmerklich gestalten wir den Spielern das Spielen und den Zuschauern das Zuschauen angenehm. Das beginnt bei der einheitlichen Bedienung der Zählgeräte, einheitlichen Ansagen zur Spieleröffnung, während und nach dem Spiel, sowie die unterstützende Verwendung von Handzeichen. Doch es sind noch einige Details mehr, die Spielern und Zuschauern im ersten Moment nicht einmal auffallen würden, wenn wir Schiedsrichter nicht da wären. Dazu wollen wir es nicht kommen lassen. Der Ausbildungstag schließt mit einer schriftlichen Prüfung. Hierbei handelt es sich um einen Multiple-Choice-Test. Wer besteht, wird zur praktischen und mündlichen Prüfung zugelassen.

Vor der praktischen Prüfung werden nochmal ein bis zwei Tage bei einer Veranstaltung geübt, damit alle Abläufe gut sitzen und Entscheidungen korrekt gefällt werden. Alle Prüflinge werden sicher unterschreiben: Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, aus dem „Zählen“, was jeder vom eigenen Mannschaftsspiel kennt, nun „das Spiel leiten“ zu machen. Tatsächlich ist das ein Prozess, der auch nach dem Erwerb der Lizenz nicht aufhört. Jeder Einsatztag bringt neue Erfahrungen.

Beim „Zählen“ beginnt der Spaß bei 0:0, und einen der beiden Spieler bzw. eines der beiden Doppelpaare kennt man, denn es sind ja Mannschaftskollegen. Gibt es Uneinigkeit, dann wird kürzer oder länger diskutiert und man fällt eine mehr oder minder gemeinsame Entscheidung. Oft bekommt derjenige Recht, der am lautesten diskutiert. Da wird dann auch mal ein Ball wiederholt oder abgeschenkt, bevor man zu lange diskutiert. Dem Zähler ist’s egal, insbesondere wenn der eigene Mannschaftskamerad den Punkt bekommt. Von der Diskussion aus dem Takt gebracht verliert manch ein Spieler dann aber gleich den ganzen Satz. Fairness? Naja…

Hier, als angehender Lizenz-Schiedsrichter ist nun alles anders. Nachdem man am frühen Morgen versucht hat, alles an Information zu verarbeiten, was in der Einsatzbesprechung gesagt worden ist, beginnt die Arbeit des Schiedsrichters am Tisch schon mit dem Betreten der Box. Noch bevor die Spieler kommen, ist zumindest dem Netz, aber bestenfalls auch dem Tisch, dem Boden und den umstehenden Banden Aufmerksamkeit zu schenken. Dann kommen die Spieler. Man kennt sie oft nicht. Die eigene Mannschaftkameraden sind es nie – das gebietet der Neutralitätsgedanke. Drumherum eine Kulisse von 50-80 weiteren Spielern, ein großer Teil davon unbeschäftigt als Zuschauer, fast ebenso vielen Betreuern und rund 25 anderen Schiedsrichtern. Da kommt Lampenfieber und Nervosität durch, egal ob Du erst 12 Jahre alt oder schon 50 bist. Händeschütteln, Schläger kontrollieren, Aufschlagwahl. Korrigiere: Aufschlag- und Seitenwahl. Dann endlich an den SR-Tisch setzen, alle Erkenntnisse auf dem SR-Zettel notieren und feststellen: die Sätze am Zählgerät sollte ich doch schon vorher auf 0:0 gestellt haben, als beide Spieler da waren. Apropos Spieler, weiß ich eigentlich wer wer ist? Rückennummern – Fehlanzeige. Einer dreht sich um und ich kann anhand des Vereinsnamens auf dem Trikot zuordnen. Vielleicht frage ich nächstes Mal besser… Wie die kleine Odyssee weitergehen könnte, liest Du vielleicht in einem späteren Artikel.

Am Ende der zwei Einsatztage schaffen es (nahezu) alle, vieles der kleinen Dinge umzusetzen, die den Schiedsrichter vom Zähler unterscheiden und erhalten Ihre BzSR-Lizenz, nachdem sie in der abschließenden mündlichen Prüfung nochmal darlegen konnten, dass sie ihr zukünftiges Handwerkszeug verstehen.

Noch gut zu wissen: Die SR-Tätigkeit ist auch mit Lizenz ehrenamtlich. Deswegen musst Du nichts, aber Du möchtest gern alles. Wir wünschen uns, so steht es auch der Schiedsrichterordnung, dass jeder BzSR mindestens vier Einsatztage pro Saison (Jahr) wahrnimmt. Schließlich haben wir alle die Lizenz gemacht, nicht nur um mehr über die Regeln zu wissen, sondern damit wir bei Verbandsveranstaltungen, Turnieren und Mannschaftsspielen den Spielern und Zuschauern ein noch angenehmeres Vergnügen bereiten. Der eigene Spaß kommt dabei nicht zu kurz.

Noch Fragen? Dann wende Dich gern direkt an den Schiedsrichterausschuss. Lest auch gern https://www.tischtennis.de/topsport/schiedsrichterin/schiedsrichter-werden.html.

(*) Diskutiert die oben geschilderten Doppel-Situation gern in der Mannschaft oder im Verein: aus welchen Gründen jeweils kann auf Punkt für das rückschlagende Paar, Punkt für das aufschlagende Paar oder auf „Let“ (Wiederholung) entschieden werden? Schickt uns gern eine kurze Nachricht, wenn ihr drei Begründungen gefunden habt. Auflösungen gibt es bei der Ausbildung und in einem späteren Artikel.

Thorsten Lau

Verbandsschiedsrichterobmann des HTTV